Von sieben geborenen ,aber nur den drei überlebenden, Kindern der Familie von Ziegesar war Sylvie die jüngste, das Nesthäkchen. Sie wurde als Agnes Sylvie Dorothea von Ziegesar 1785 in Gotha geboren und ist 1858 in Großneuhausen gestorben. In ihrer Kindheit wird sie beschrieben mit: „ …lernt leicht und schnell,… ist musisch begabt und dichtet,… hat eine liebliche schlanke Gestalt,…. hat volles blondes Haar,… ist liebenswert und gescheit!
1785 berichtet Goethe an den Herzog in Weimar über einen Besuch bei den von Ziegesars:
„… fuhr nach Drackendorf, um das Ziegesarsche Blut zu beschauen. Die großgewachsenen Mädchen haben uns sehr in die Augen gestochen! Die Mittelste ist wirklich ein Schatz“. Hier kann nur Cäcilie gemeint sein, denn Sylvie war damals erst 3 Jahre alt. Mehr als 30 Besuche Goethes sind bei den von Ziegesars nachgewiesen. Als Sylvie 17 Jahre alt ist beginnt der 53 jährige Goethe zu dem Mädchen eine engere Beziehung aufzubauen.
Goethe lebte zwar mit der Haushälterin Christiane Vulpius unter einem Dach und hatte mit ihr den unehelichen Sohn August, gedachte jedoch nicht mit ihr in den Ehestand zu treten.
Sylvie schreibt in diesen Tagen der „jungen Liebe“ zu diesem bejahrten , korpulenten Freier von einem : „ schönen, süßen Tag, als mir der Freund im Arme lag“. Als wohl ein etwas melancholisches Mädchen jener Zeit dichtete sie:
Wir scherzten, spielten, lachten viel,
Die Liebe führte unser Spiel, vergessen war der Schmerz, der sonst mir schwer im Busen lag
und drückte mein Brust, er war vergessen diesen Tag, ich kannte nichts als Lust…
Auch an Goethe gingen die Spaziergänge zur Lobdeburg, mit der 17 Jährigen, nicht spurlos vorbei. In der Eckstube des Drackendorfer Schlosses schrieb er das Gedicht „Bergschloß“.
Doch als mit Zither und Flasche
Nach diesen felsigen Höhn Ich an dem heitersten Tage Mein Liebchen steigen gesehen.
Dann beruhigt sich die Liebesglut etwas. Sind es andere Frauen, oder Goethes Angst sich zu eng zu binden? Nach dem Erlebnis mit den marodierenden Franzosen und Christianes Heldentat, heiratet Goethe die Vulpius und legitimiert den gemeinsamen Sohn. Doch jeder geht seine eigenen Wege. Christiane kurt in Lauchstedt und Goethe in Karlsbad. Ein öffentliches Familienleben gab es nicht.
1808 macht die Familie Ziegesar eine Kur in Karlsbad, da die Mutter schon längere Zeit kränkelte. Goethe weilte schon 3 Wochen dort. Er nun 59, Sylvie nun 23 finden wieder enger zu einander. Ganz Karlsbad zerriss sich die Tratsch- und Klatschmäuler. Das wurde den von Ziegesars wohl zu viel, und sie flüchteten nach Franzensbad. Goethe folgte stehenden Fußes. Im dortigen Kurhaus wurde Sylvies 23.Geburtstag großartig gefeiert. Unser Dichter lebte dort im Kurhaus, mit Familie von Ziegesar unter einem Dach.
Für die Geburtstagsfeier schrieb Goethe für Sylvie:
Folge so dir immer, wie sichs wölken mag,
Heit’rer Sonnenschimmer,
Dir zum eignenTag!
Trotz dem Wetterbübchen, geh’s Dir jungem Blut,
Tochter, Freundin, Liebchen wie Du’s wert bist, gut!
Doch am Morgen des nächsten Tages reiste Goethe überstürzt nach Karlsbad zurück. Sein Kutscher überbrachte der schon Kummer gewöhnten Sylvie einen Brief, mit den Worten:
„ Adieu süßes Kind Jedoch 4 Monate später auf der Rückreise nach Weimar, fährt er erst Jena an, besucht erst die von Ziegesars und reist erst 3Tage später nach Weimar. Christiane mußte ihn ausdrücklich bitten ,so schnell wie möglich nach Weimar zu kommen. Hier erfuhr er, dass seine Mutter in Frankfurt gestorben war. Statt nach Frankfurt zu eilen, um die Tote zu ehren und den Nachlass zu klären, schrieb er an Sylvie: „ Als mich der Eilbote aus ihrem freundlichen Tale wegrief, ahndete ich noch nicht was mir bevorstand. Der Tod meiner teuren Mutter hat den Eintritt nach Weimar mir sehr getrübt“.
Dass er mehr als 11 Jahre nicht nach seiner Mutter sah und dann auch Christiane 1808 in Frankfurt alles regeln mußte, wirft kein gutes Licht auf unseren Dichterfürsten .
Die Ehrung mit dem Orden der „Ehrenlegion“ durch Napoleon in Erfurt war ihm wichtiger! Goethe hatte 1806 seine einstmaligen „Nöte“ im geplünderten Weimar schnell vergessen. Die Ehrenjagd zu Ehren des französischen Kaisers, durch den Großherzog, beschämte wohl viele Leidtragende der Schlacht von Jena/ Auerstedt, aber nicht die Weimarer Hofgesellschaft.
Die Karlsbader Kur hatte die Leiden der Mutter von Sylvie nicht gebessert. Sylvie pflegt aufopferungsvoll die unter unsäglichen Schmerzen leidende Mutter. 1809 verstirbt die Mutter an ihrem Unterleibsleiden. Goethe mied in dieser Zeit das Ziegesarsche Haus. Kranklreit in seiner Nähe war für ihn nicht akzeptabel. Auch als seine Christiane im Sterben lag, ging er nicht an ihr Krankenbett!
Sylvie reimt in ihrer „ Osterelegie“ nach dem Tode der Mutter:
Nun sitz’an diesem Ostertage Ich einsam, mutterseelenallein
Und denk in graußer Sehnsuchtsplage
Von früh bis spät zum Abend Dein.
Und jeder Atemzug ist Liebe, und jeder Augenblick ist Qual, und jeder Herzschlag peitscht wie Hiebe Ach! Ist das Leben öd und schal!
Es ist kaum zu glauben, dass dies ein Nachruf an die Mutter ist, sondern ein Hilferuf an den Freund und Geliebten!
Am 5. Juni 1809 nimmt sich Sylvie „ein Herz“ und will Goethe im Hause der Familie Kaiser, in Jena, zwingen sich zu ihrer Liebe zu bekennen. Ihre Freundin Luise Seidler beschrieb in einem Brief diesen Eklat: „ …als ihr Kaisers sagten, dass Goethe da sei, flog sie in die Stube und an seinen Hals, daß ich glaubte, die beiden Arme könnten ihn erdrosseln. Ich konnte nicht hinsehen, alles war in peinlicher Verlegenheit “
Goethe hatte gerade mit 60 Jahren sein Buch „ Wahlverwandtschaften“ beendet und veröffentlicht. Große Teile seiner Leserschaft stuften das Buch damals als „ skandalös“ ein . Viele rätselten, wer die Ottilie sei? Sylvie könnte es sein ,glauben nun einige.
Sylvie wird nun zur Person „non grata“ für Goethe und den Weimarer Hof. 5 Jahre hört und sieht man sie nicht mehr. Einige sagen, sie wäre nach Drakendorf verbannt worden, andere sagen ,sie sei nur von der Gesellschaft geschnitten worden und andere sagen, sie habe nur noch in ihrem Liebeskummer, sich auf die Pflege des alten Vaters konzentriert.
1813 stirbt der Vater und Sylvie ist mit 29 Jahren ein „ spätes Mädchen“ geworden. Der Universitätsprofessor Friedrich August Köthe, vom Theologielehrstuhl der Jenaer Universität suchte damals eine feste Pfarrstelle um Jena. Er predigt auch in der Drackendorfer Kirche und wird , wie damals üblich auf den Drakendorfer Gutshof zum Essen eingeladen. Zwischen Sylvie und Köthe kommt es zu einem Verhältnis. Obwohl er nicht von Adel war und eine Heirat ein gesellschaftlicher Abstieg bedeutete, kam esl814 zur Hochzeit der Beiden.
Wilhelm von Kügelen, ein Freund und Brautmarschall von Köthe, beschreibt die beiden:
„Köthe…. ein natürlich-edler Charakter, …von Gott geadelt, …und diesen Adel hatte auch
Fräulein Silvie anerkannt. Sie hatte sich ihm verlobt und beide waren entschlossen, ihre Pilgerreise fortan selbander fortzusetzen“. Spötter behaupteten auch: „ Weil’s der mit „G“ nicht sein konnte wurde der mit „ K“ genommen.
1815 wird das erste Kind des Paares geboren. Sylvie bat in einem Brief an Goethe, dass dieser Pate des Kindes sein möge. Auf dem Taufschein der Tochter Selma Maria ist ein Geheimrat Ritter von Gethe eingetragen. Es könnte Goethe gewesen sein. Da aber auch oft nicht anwesende Paten mit eingetragen wurden, ist nicht sicher ob Goethe zugegen war.
1817 wird Köthe ordentlicher Professor an der Jenaer Universität. Das Amt wird ihm jedoch zu anstrengend, meinen einige. Andere sagen, da er es mit dem Mystizismus übertrieb, schob man ihn nach Allstedt ab. Ob Goethe auch an einer Versetzung der Beiden, in die entfernteste Ecke der Weimarischen Lande mitwirkte, ist wohl nicht mehr zu klären. Es werden noch drei Kinder geboren. 1850 stirbt der Ehemann als Superindentent in Allstedt.
Sylvie lebte nun mit der Tochter auf dem Schloß Großneuhausen und arbeitet, wenn es die Kräfte zulassen, als Handarbeitslehrerin in der hiesigen Mädchenschule (Industrieschule), einer Stiftung ihrer verstorbenen Schwester der Freifrau Cäcilie von Werthem- Beichlingen und Mutter des Grafen zu Beichlingen. Vor ihrem Tode ( 1858) muß sie noch hier ihren an Schwindsucht erkrankten Sohn Karl pflegen und zu Grabe tragen. In Ihrem Grabe sind die Gebeine von Tochter Selma und Sohn Karl mit der Mutter vereint.
Selma war Gesellschaftsdame der Beichlinger Grafen. Karl war Finanzbeamter am Gothaer Hof.
Einige Goethe -Kenner behaupten, dass Sylvie große Chancen hatte, die Frau Geheimrätin von Goethe zu werden. Nur die Kriegswirren, nach der Schlacht von Jena- Auerstedt, gaben Christiane Vulpius die Chance, von der Haushälterin zur Ehefrau Goethes aufzusteigen. Wie schwierig diese Liebesbeziehungen einzuschätzen sind, deuten neueste Forschungsergebnisse um die Beziehungen Goethe- Frau von Stein- Anna Amalia an. Hier werden wir noch viele Deutungen erfahren. Leider sind mehr als Tausend Briefe des Briefwechsels Goethe- Anna Amalia- Frau von Stein verschollen. Nur sie würden mehr Licht in dieses thüringer Drama bringen.